Photogrammetrische Rekonstruktion historischer Krippenfiguren

Bachelorarbeit am ifp - Jakob Schmidt

Jakob Schmidt

Photogrammetrische Rekonstruktion historischer Krippenfiguren

Dauer der Arbeit: 6 Monate
Abschluss: September 2015
Betreuer: Dr.-Ing. Michael Cramer
Prüfer: Prof. Dr. Norbert Haala

Volltext: b1006-Jakob_Schmidt.pdf


 

Motivation

Ziel dieser Arbeit ist eine vollständige und originalgetreue photogrammetrische Rekonstruktion von Krippenfiguren. Diese Krippenfiguren haben eine Größe von bis zu 50 cm. Die Köpfe, Hände und Füße sind aus Holz geschnitzt. Die Körper sind mit Stoffgewändern bedeckt. Die Krippe wurde vom Künstler Walter Ohlhäuser geschaffen und befindet sich im Besitz der Katholischen Kirchengemeinde Heilig Geist in Stuttgart-Ost.

Abb. 1.1(links): Foto des Kopfes des Josef, Abb. 1.2 (mitte): Farbige Punktwolke des Kopfes, Abb. 1.3 (rechts): Aus Gips gedruckt Büste

Diese Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Figur des Josef (Abb. 1). Die fotografische Erfassung wird am Standort der Krippe mit drei Kameras durchgeführt. Genutzt werden drei Kameras. Eine Nikon D800E mit Kleinbildsensor und die Panasonic Kameras DMC‑FZ150 und DMC‑FS16 mit 1/2,3“ Sensor. Geprüft wird hierbei die Eignung der jeweiligen Kamera für eine genaue Rekonstruktion unter den am Aufnahmeort vorherrschenden ungünstigen Beleuchtungsverhältnissen. Das gewählte Aufnahmeverfahren soll auch von Laien durchgeführt werden können. Hierfür wurde im Rahmen dieser Bachelorarbeit eine Anleitung erstellt.

Die Figur wurde mit unterschiedlichen Aufnahmekonfigurationen fotografiert, um die optimalen Bedingungen für eine originalgetreue Rekonstruktion bei möglichst geringem Zeitaufwand zu finden. Zusätzlich wurde die Figur mit einem Streifenprojektor als Referenz aufgenommen. Die photogrammetrische Rekonstruktion der einzelnen Bildverbände erfolgt mittels Agisoft PhotoScan und Autodesk Recap 360. Die Punktwolken werden anhand vermaschter Punktwolken in PhotoScan und in MeshLab im Falle der mit ReCap 360 berechneten Modelle visuell beurteilt. Auf Basis der visuellen Beurteilung werden Referenzpunktwolken gewählt. Diese dienen für eine Genauigkeitsabschätzung mit Hilfe von Distanzen, die in CloudCompare von den einzelnen Punktwolken zu den Referenzpunktwolken berechnet wurden. Die Verwendbarkeit photogrammetrisch rekonstruierter Punktwolken für einen 3D‑Druck wird an Hand der vollständigsten und originalgetreuesten Punktwolken geprüft.

 

 

Photogrammetrische Erfassung und Rekonstruktion

Die Figur wurde mittels ringförmig um die Figur angeordneten Bildverbänden erfasst.

 

Ergebnisse des Frankfurt-Datensatzes unter Verwendung von 1) geometrischen Merkmalen, 2) Farbmerkmalen, 3) allen Merkmalen.
Abb. 2.1 (links): Kamerapositionen bei gedrehter Figur, Abb. 2.2 (rechts): Aufnahmeaufbau

Neben den unterschiedlichen Kameras wurden verschiede Aufnahmekonfigurationen verwendet. Für einen ersten Bildverband wurde die Kamera zwischen den einzelnen Aufnahmen mit Stativ um die Figur bewegt. Auf diese Weise wurden mit jeder Kamera je zwei horizontale Aufnahmeringe mit Bildern in 5° Schritten fotografiert. Für den zweiten Bildverband wurde die Nikon D800E verwendet. Die Figur wurde auf einem Drehteller in 5° Schritten gedreht und vor einem einfarbigen Hintergrund fotografiert (Abb. 2.2). Die Kamera stand jeweils für einen horizontalen 360°‑Aufnahmering an der gleichen Position. Es wurden somit insgesamt sechs Aufnahmeringe der Figur mit unterschiedlichen Kamerapositionen erzeugt (Abb. 2.1). Soweit möglich wurde bei jeder Kameraposition ein Bild vom Aufnahmehintergrund für eine spätere Ausmaskierung des Hintergrundes aufgenommen.

Die photogrammetrische Rekonstruktion wurde mit Agisoft PhotoScan und Autodesk ReCap 360 durchgeführt. Die Rekonstruktionen mittels PhotoScan erfolgten aus mehreren Bildverbänden mit unterschiedlicher Anzahl an Bildern und mit verschiedenen Berechnungsqualitätseinstellungen. In ReCap 360 wurde jeweils nur eine Rekonstruktion pro Kamera und Aufnahmekonfiguration durchgeführt.

Visuelle Beurteilung der Punktwolken

Die visuelle Beurteilung ergab einen niedrigen Detailgrad der Punktwolken des ersten Bildverbandes, bei dem die Kamera zwischen den Aufnahmen bewegt wurde. Die Punktwolken sind wenig originalgetreu, weisen jedoch nur wenige nicht rekonstruierte Stellen auf. Die Punktwolken des zweiten Bildverbandes mit sich drehender Figur sind deutlich detaillierter. Die originalgetreueste Rekonstruktion des Gesichts der Figur konnte mit nur einem Aufnahmering erzielt werden (Abb. 1.2). Diese Punktwolke ist jedoch durch den eingeschränkten Blickwinkel nicht vollständig. Die Verwendung von zwei Aufnahmeringen liefert eine sehr ungenaue Rekonstruktion der Figur. Werden mehr als zwei Aufnahmeringe für die Rekonstruktion verwendet, wird die Punktwolke deutlich detaillierter und ist originalgetreu und vollständig. Das Hinzufügen von mehr Aufnahmeringen verbessert den Detailgrad, die Details werden schärfer abgebildet, die Verbesserungen werden jedoch mit jedem hinzugefügten Ring geringer. Rein visuell sind zwischen den Modellen, die aus Bildern im 5° Winkel berechnet wurden, und denen aus Bildern im 10° Winkel kaum Unterschiede zu erkennen. Bei 5° lassen sich etwas weniger nicht rekonstruierte Stellen finden. Die Größe und Anzahl dieser ist jedoch gering. Mit 20° Winkel zwischen den Bildern nimmt die Vollständigkeit der Rekonstruktion stark ab.

Die Berechnungsqualität in PhotoScan hat einen großen Einfluss auf den Detailgrad der rekonstruierten Punktwolken. Für eine originalgetreue und detaillierte Rekonstruktion ist mindestens eine Rekonstruktion in hoher Qualität notwendig.

Punktwolken die mit ReCap 360 berechnet wurden, weisen einen ähnlich hohen Detailgrad auf wie mit PhotoScan. Einige großflächig falsch rekonstruierte Bereiche verschlechtern jedoch den Gesamteindruck deutlich.

Aus allen Punktwolken wurden vier Punktwolken auf Basis der visuellen Betrachtung als Referenz ausgewählt. Da nicht alle Punktwolken in hoher Qualität berechnet werden konnten, werden zwei Punktwolken mit mittlerer und zwei mit hoher Berechnungsqualität als Referenz genutzt. Diese sind aus einem Aufnahmering mit 5° Winkel zwischen den Bildern in mittlerer und hoher Qualität, so wie aus allen sechs Ringen mit 5° in mittlerer und mit 10° in hoher Qualität rekonstruiert.

Die Streifenprojektoraufnahmen stellen auf Grund des eingeschränkten Blickwinkels keine vollständige Erfassung der Figur dar. Als alternatives Aufnahmeverfahren werden diese jedoch auch als Referenzpunktwolken genutzt.

Quantitativer Vergleich der Punktwolken

Die Figur wurde mittels ringförmig um die Figur angeordneten BildverbändeDie Distanzen zu den Referenzpunktwolken wurden nur für den Kopf der Figur berechnet (Abb. 3). Aus dem Vergleich dieser Distanzen kann eine Reihe von Aussagen über die Genauigkeit der Punktwolken getroffen werden. Die berechneten Werte bestätigen die Ergebnisse der visuellen Betrachtung.

Auswertung der Distanzen zu Referenzpunktwolken in CloudCompare (Werte in [mm])
Abb. 3: Auswertung der Distanzen zu Referenzpunktwolken in CloudCompare (Werte in [mm])

Punktwolken aus einem Aufnahmering sind am genauesten. Die schlechteste Genauigkeit entsteht bei der Verwendung von zwei Ringen. Mit mehr als zwei Aufnahmeringen wird die rekonstruierte Punktwolke mit jedem zusätzlichen Ring genauer. Wird die Kamera zwischen den einzelnen Fotos bewegt, so ist die erzielbare Genauigkeit mit mittleren Distanzen zur Referenz von bis zu 1 mm sehr groß. Wird die Kamera stationär aufgestellt und die Figur gedreht, sind die erzielten Werte deutlich besser und befinden sich im Bereich von 0,1 mm bis 0,2 mm.

Die mittlere Distanz zur Referenz ist im Vergleich zu mittlerer Qualität nur halb so groß, wenn in PhotoScan Punktwolken in hoher Berechnungsqualität rekonstruiert werden.

Genauigkeitsunterschiede zwischen Punktwolken aus Bildern mit 5°, 10° und 20° Winkelabstand sind nicht signifikant erkennbar.

Die mit PhotoScan berechneten Punktwolken sind genauer, da die mittleren Distanzen zur Referenz bei den mit ReCap 360 berechneten Punktwolken durch großflächige Ausreißer verschlechtert werden.

Für die Erfassung unter den gegeben ungünstigen Beleuchtungsverhältnissen empfiehlt sich eine Kamera mit einem großformatigen Sensor. Mit den Bildern der Panasonic Kameras mit 1/2,3" Sensor sind die rekonstruierten Punktwolken durch eine schlechtere Bildqualität sehr ungenau. Die Nikon D800E lieferte hier mit einem Kleinbildsensor deutlich bessere Ergebnisse.

3D-Druck

Für die photogrammetrisch erfassten Punktwolken und Modelle bietet sich ein 3D-Druck an. Für einen Druck muss das Modell wasserdicht sein, das bedeutet komplett geschlossen. Um die Anzahl der Löcher minimal zu halten, wurde aus einer möglichst originalgetreuen Punktwolke eine interpolierte vermaschte Punktwolke generiert. Von dieser wurde in CloudCompare eine Büste abgeschnitten und mit Autodesk Meshmixer geschlossen. Druckdienstleister wie Sculpteo oder trinckle bieten unterschiedliche Druckmaterialien und Druckverfahren an. Da die Figur mit Sockel gute 50 cm groß ist, ist der Druck mit manche Materialien aufgrund zu kleiner Druckräume nur von Teilen der Figur möglich. Bei jedem Druckverfahren wird in Schichten gedruckt. Diese werden je nach verwendetem Material mit einem Laser aus einem Pulver verschmolzen oder verklebt.

Der Druck mit verklebtem Gips ermöglicht eine farbige Oberfläche. Das verwendete Material hat jedoch eine geringe Robustheit und eine vergleichsweise geringe Genauigkeit. Diese ist für einen originalgetreuen Druck einer Büste der Josef Figur jedoch durchaus ausreichend (Abb. 1.3). Für den Druck der gesamten Figur empfiehlt sich gesinterter - also verschmolzener - Kunststoff. Dieser ist robust und bietet einen ausreichend großen Druckraum. Die Genauigkeit ist höher als bei verklebtem Gips. Die Figur kann ausgehöhlt gedruckt werden, um Material und damit Druckkosten zu sparen. Hierfür bieten manche Druckdienste auch Tools an. Der Druck einer Büste kostet ausgehöhlt in Originalgröße circa 100 €. Ein Druck der gesamten Figur beläuft sich auf über 1000 €. Da die Modelle aus den sehr dichten photogrammetrisch rekonstruierten Punktwolken eine relativ große Datenmenge besitzen, ist es für einen einfachen Druck von großem Vorteil, wenn ein Dienstleister die verwendbare Datenmenge nicht limitiert.

Fazit

Die Krippenfiguren können auch unter ungünstigen Lichtverhältnissen originalgetreu und vollständig erfasst werden. Einen guten Kompromiss aus vollständiger Erfassung und hoher Genauigkeit stellt die Verwendung von drei Aufnahmeringen mit 10° Winkelabstand zwischen den Bildern dar. Die Figur sollte hierfür gedreht werden und die Kamera innerhalb jedes Aufnahmerings stationär aufgestellt sein. Für eine zuverlässige und genaue Rekonstruktion empfiehlt sich die Verwendung von PhotoScan mit hoher Berechnungsqualität der dichten Punktwolke.

Ansprechpartner

Dieses Bild zeigt Michael Cramer

Michael Cramer

Dr.-Ing.

Gruppenleiter Photogrammetrische Systeme

Zum Seitenanfang